Vom Lachen und Weinen

Sie haben etwas Menschliches, aber irgendwie auch nicht. Mal fehlt ihnen ein Kopf, oder sie haben stattdessen ein riesiges schwarzes Maul, fast nie haben sie Augen, aber immer scheinen sie zu fühlen. Was genau, kann man nicht sagen, aber sicher ist: sie fühlen etwas, etwas Menschliches, Schmerz, Trauer, Zuneigung, Verzweiflung, Verwirrung.

Auf windschiefem Papier tummeln sich die Kreaturen der jungen Isländischen Künstlerin Sigga Björg Sigurđardóttir in bunt geringelten Hemden, hochgezogenen Söckchen und flauschigen Tutus, die dem Großteil der Betrachter jenen gutturalen Laut entlocken, der normalerweise für den Blick in den Kinderwagen einer frisch gebackenen Mutter reserviert ist. Und doch sind die Zeichnungen weit davon entfernt, ins Kinderzimmer zu gehören, denn wenn man sie nur lange genug ansieht, erwachen sie zum Leben, spucken, sabbern, würgen, kriechen aneinander hoch, befingern sich, trampeln aufeinander herum, fügen sich Schmerzen zu oder stehen nur da und betrauern ihre Toten.

Die verborgene Welt, in der diese Geschöpfe mit den triefenden Mündern und haarigen Armen existieren, ist eine Spiegelwelt: Der tief in isländischen Mythologie verwurzelte Glaube an Kobolde, Trolle und Feen, die in den Wäldern ihr Unheil und Schabernack mit den Menschen treiben, schlägt sich unwillkürlich in der Arbeitsweise der Künstlerin nieder: „Ich denke ich bin sehr Isländisch und da ist mein Unterbewusstsein natürlich voller Dinge die ich gelernt oder gesehen habe, als ich dort aufwuchs. Ich versuche nicht, etwas „Isländisches“ zu machen, wenn ich arbeite. Ich versuche nur ehrlich zu sein.“

Diese Ehrlichkeit, eine Art Selbstbetrachtung mit Sicherheitsabstand - denn trotz allem, erinnert die Stimme der Raison im Hinterkopf, sind die kleinen Geschöpfe ja nicht echt - das verdeckte Bekenntnis zu eigenen Fehlern und die Suche nach der eigenen Einstellung verbinden die Zeichnungen Sigurđardóttirs mit den Erzählungen über die mythologischen Geschöpfe. Mit einfühlsamer, aber doch zweideutiger Schlichtheit gehen die Zeichnungen widersprüchlichen Emotionen zwischen Lachen und Weinen, Zuneigung und Abscheu, Mitleid und Schadenfreude auf den Grund.

Das feine Äußere, die zart gezeichneten Haarflauschen, die ominösen Flüssigkeiten, die Färbungen, die ebenso gut Socken sein könnten wie die Spuren vom Waten durch knöcheltiefe Blutlachen entführen den Betrachter auf eine Reise ins Reich der Empfindungen. „Der Gegensatz zwischen Grauen und Schönheit und dem Zustand, in den man verfällt, wenn man nicht weiß ob etwas schön oder ekelhaft, lustig oder traurig ist, hat mich schon immer fasziniert. Haben Sie schon einmal angefangen zu lachen, wenn etwas Schreckliches passiert? Ich schon, und es ist kein gutes Gefühl…“

Es gibt keine große Geschichte, keine durchgehende Handlung, die die einzelnen Serien zusammenhält. Sie entstehen zufällig, kommen zusammen wie lose Seiten aus einem Märchenbuch, aus dem alle Buchstaben verschwunden sind. Der Kampf mit dem Mixer oder die Enttäuschung über die kaputte Waschmaschine – große Gesten und heroischen Pathos sucht man in Sigga Björg Sigurđardóttirs Zeichnungen vergebens. „Wenn ich arbeite“, sagt Sigurđardóttir, “hänge ich alle Zeichnungen an die Wand und nach und nach ist die Wand mit Bildern gepflastert, so dass die Zeichnungen sich gegenseitig beeinflussen, wenn ich neue mache. Jede Serie wird dann zu einer Familie. Sie haben dann nicht bewusst viele gestreifte Klamotten, es war nur zu dieser Zeit grade die Mode in meinem Studio.”

Es ist der Alltag, der ganz gewöhnliche, jeden Tag ein bisschen überraschende, ein bisschen enervierende Alltag, mit dem sich die Kreaturen herumschlagen, mal lustig, mal bösartig, mal in völliger Resignation, aber immer frappierend direkt und ohne die Fassade der politischen Korrektheit. Es sind Momentaufnahmen, die ein mulmiges, mit Worten nicht zu beschreibendes Gefühlsgemisch ausdrücken.

„Ich denke jeder reagiert manchmal seltsam auf Gefühle. Und wenn man versucht, die Vernunft abzuschalten und sich nicht selbst zensiert – das versuche ich, wenn ich arbeite – kommen die extremsten Gefühle hoch und man kann sie kaum verstecken ohne zu lügen. Und ich lüge nicht, wenn ich arbeite. Es geht nur darum, ehrlich zu sein und die Wahrheit zu sagen, wie immer die auch aussieht.“

© Katharina Klara Jung, 2006




 

Artist's statement

My work is about what happens when someone does something to somebody or something happens to someone but sometimes someone is simply doing something or thinking something else.I like to create a situation between creatures that look like people or animals but do not have to be either. They simply exist to demonstrate a situation or a state of mind.




Interview

Are you aware of set themes , colours and motives emerging in each body of work?
....Yes, I think I am aware of the themes , like sometimes there is a lot of hair, socks or some particular colour.

How conscious are you of the images that are emerging and how much do you control or edit the process?
I think I am visually very conscious about the images and perfectly in control of how they look but usually I don't have a clue what is happening in them and don't think I really want to know. I don't edit myself while I'm making them but afterwards I go through the pile and throw away the ones I don't like.

What do you feel about the violence, darkness, humour and the relationship between them in the work?
I guess I am obsessed with the contrast between horror and beauty. Things that make you feel like you don't know if you should laugh or cry and you end up doing both and feel guilty afterwards.

Are these the questions you want to be asked, if not what is the question and what would the answer be?
Yes, except for the question I didn't answer.
 


Untitled, 2006