David Fried - Interview

Ausschnitt aus einem Beitrag von Christopher Chambers über David Fried            
Unterhaltung mit dem Künstler über seine Idee und Motivationen:


Christopher Chambers: Wenn man Ihre neueren Arbeitet betrachtet, die Self Organizing Still Life Skulpturen und die In bed with Lucy and Dolly Fotogramme, scheinen diese auf den ersten Blick der Reihe nach vollständig voneinander getrennt zu sein. Entstammen ihre Themen einem ihnen gemeinsam unterliegenden Konzept? Was sind die Ideen, die Sie in diese Richtung führen und wie sind diese miteinander verbunden?

David Fried: Ich habe immer ausgehend von Konzepten gearbeitet. Das richtige, zu dem Konzept passende Medium zu finden – oder im Fall der SOS Skulpturen verschiedene Techniken zu kombinieren oder sogar neue Ausdrucksmittel wie interaktiven Granit zu erfinden – erlaubt mir eine viel größere Flexibilität, meine Ideen auszudrücken. Folglich nehme ich mir die Freiheit, Ideen zu verfolgen, die mir nicht gekommen wären, wenn ich mit den Beschränkungen eines einzigen Mediums angefangen hätte. Dennoch erfordert die Strecke zwischen Absicht und Ergebnis eine gewisse Inkubationszeit und eine Menge Geduld, bislang ungeübte Fertigkeiten zu entwickeln. Bevor das erste funktionierende SOS Objekt entstanden ist, war beispielsweise eine zweijährige Recherche nötig. Ich musste meine Ideen von der reinen Theorie in eine Ingenieurs-Realität verwandeln, was für mich als Maler etwas komplett Neues war. Dieser Prozess umfasste das Studieren der Physik, die Herstellung von Gussformen, die Arbeit mit Stein und Elektronik und anschließend das Zusammenfügen all dieser Dinge – was eine extreme Herausforderung für mich war. 

Zurück zu Ihrer Frage: Meine Konzepte werden als solche von bestimmten Kriterien gelenkt, die Grund legend für alle meine Arbeiten sowohl der Vergangenheit als auch Gegenwart sind. Eines der grundsätzlichen Kriterien, das sowohl zu den SOS Objekten als auch der Arbeit Lucy & Dolly führte, bestand darin, einen Weg zu finden, mein Verständnis des Lebens auf eine symbolische Art auszudrücken, die jenes Netzwerk der Beziehungen offenbart, das keinen linearen und hierarchischen Mustern folgt. 

C.C.: Diese Konzepte sind auch in Chaos- und Tiefenökologie-Theorien sichtbar. Ist das eine Quelle der Inspiration?

D.F.: Lassen Sie es mich so formulieren: Die Recherche und das Verständnis bestimmter Personen, die jetzt in der Lage sind, jene Theorien zu beweisen, hat mir ein Gefühl der Beruhigung gegeben, da, obschon Descartes lange eine eigene Sicht der Welt verfolgt hat, er noch immer die Weise, wie Technologie, Kultur und Politik sich entwickeln, sehr gut im Griff hat. Das Wissen ist vorhanden, aber das Modell wurde noch nicht vollständig angenommen. Ich würde sagen, dass meine Erfahrung, in New York City mit seinen raschen Bewegungen, abrupten Wahrheiten und Do or Die-Anstrengungen aufgewachsen zu sein, mit all diesen Leuten, die sich in einer so konzentrierten und verschiedenartigen Umgebung vernetzen, für mich vermutlich eine viel größere Quelle der Inspiration war als die Art, wie ich Beziehungen wahrnehme, und der Einfluss, den gewisse Einzelaktionen auf die Gesamtheit haben können – seien sie privater, kultureller oder sogar spiritueller Natur. Ich möchte deshalb unterstreichen, dass ich nicht bloß versuche, ein wissenschaftliches Verständnis zu illustrieren. Ich möchte Werke schaffen, die die wechselseitigen Beziehungen und die Energie, die innerhalb dynamischer, aber geschlossener Systeme entsteht, untersuchen, und daraus resultierende Fragen über die gegenwärtige Individualität im global village aufwerfen.

C.C.: Philosophisch gesprochen, positionieren Sie sich als eine Art Katalysator, als ein Dreh- und Angelpunkt zwischen Wissenschaft und Erhabenen?

D.F.: Indem ich meinen Themen auswähle, vielleicht ja, aber ich versuche nicht didaktisch zu werden. Ich kann nur hoffen, auf eine Art und Weise auf das zu stoßen, was mich interessiert, die so vielen Kulturen wie möglich zugänglich ist. Es handelt sich nicht um Kunst-über-Kunst, auch nicht um das Verfassen eines Manifestes über das, was kommen könnte. Über die Jahre hinweg habe ich die Bildlichkeit meines Werkes immer weiter in symbolische Formen gelenkt, die fundamentale, der menschlichen Erfahrung vertraute Sinne auslösen können. So wie die Musik keine Erklärung braucht. Wenn meine Arbeiten beim Laien funktionieren, ist das gut, ungeachtet ihrer Interpretation. Das ist für mich auch insofern befreiend, als vieles, was wir in letzter Zeit in der Kunst sehen, sehr spezifisch ist, und oft auch in der Tat sehr wenig zugänglich. Natürlich gibt es, so wie wir hier sprechen, eine große Menge Hintergrundinformationen, die kommuniziert werden können, aber ich versuche diese Aspekte in meinen Arbeiten irgendwie weniger wichtig zu machen. Obschon die Leute sehr neugierig sind, was die technischen Aspekte der SOS Skulpturen betrifft, kann das Wissen über ihre von Hand konstruierten Systeme einem nicht dabei helfen, den Inhalt irgendwie besser zu verstehen. Technische Fragen haben damit nichts zu tun, und wenn ich gefragt werde „Wie funktioniert das?“, lautet meine Antwort oft: „Es funktioniert! Wie man damit umgeht, ist das Wesentliche.“

C.C.: Wir erleben gerade eine weitere Revolution in der Kommunikationstechnologie. Denken Sie, dass die Zukunft der Kunst durch die Verfügbarkeit von Email, SMS, Chat Rooms und ähnlichem prosperieren wird?

D.F.: Sicherlich, aber Inhalt und Integrität dessen, was kommuniziert wird, werden immer eine treibende Kraft sein. Dennoch wird das, was das Öffentliche erreicht, in jedem Teil der Welt auch weiterhin zwischen ernsthaften und modischen Tendenzen changieren. In der Nach-Gutenberg-Galaxie zu leben, ist Realität. Die Dinge bewegen sich schneller, und obwohl ich glücklich bin, dass wir nicht mehr wie Mönche Bücher per Hand kopieren müssen, verlängert sich unsere Aufmerksamkeitsspanne auch nicht wesentlich.

Um sich an diese mediale Verfügbarkeit anzudocken muss der Betrachter viel aktiver teilnehmen. Es geht ganz einfach darum, dass für den Kulturdiktator mit dem silbernen Löffel immer weniger Notwendigkeit besteht, einen passiv zu füttern. Es gibt viele Leute, die faszinierende Kunst schaffen, und es gibt hier auch eine Menge Faulheit, trotz des großen Raumes und der Leichtigkeit für jeden Einzelnen, sich auszudrücken. Ich habe in letzter Zeit zu viele Kunstwerke gesehen, die zwar wirklich gut sind, aber nicht im geringsten originell! Etablierte Leistungen der Kunst zu wiederholen, mag sich für manchen auszahlen, aber es bringt uns keinen Schritt weiter.

C.C.: Könnten Sie Ihre Anspielung im Titel der fotografischen Arbeiten zu Dolly, dem ersten geklonten Schaft, erklären?

D.F.: Mit dem Erscheinen Dollys war ein Medienstar geboren. Plötzlich wusste jeder, dass eine Grenze zwischen der Praxis der Menschheit, ihre Umgebung zu verändern, und den Versuchen der Menschheit, sich selbst neu zu erfinden, gefallen war. Der Mensch hat immer danach gesucht, was ihn von anderen Spezies unterscheidet. Für mich wurde Dolly zum „missing link“ und erfüllte das Bedürfnis des Menschen nach Überlegenheit. Andererseits ist auch Lucy, eine alte Hominide, eine Frau von mehr als zweifelhafter Herkunft. Obwohl wir ihre physiologische Herkunft exakt bestimmen können, stellt sich noch immer die Frage: „Wie intelligent war sie wirklich?“ Nun, zumindest klug genug, um zu essen, zu schlafen und sich biologisch zu reproduzieren, was mehr ist als ich von unseren Vorfahren sagen kann.  Auf diese Weise finden wir uns selbst im Bett mit unserer Vergangenheit und Zukunft wieder und versuchen uns in dieser „schönen neuen Welt“ zurechtzufinden.

C.C.: Wenn wir uns selbst „im Bett“ mit uns selbst befinden, bedeutet das für Sie, dass die Gesellschaft kränklich ist oder lahm?

D.F.: Ja, aber nicht unheilbar. Wenn wir genetische Kochbücher schreiben, müssen wir auch darauf vorbereitet sein, mit unseren eigenen Kreationen an einem Tisch zu sitzen. Nun, abgesehen von dem Titel – wenn man das Werk betrachtet, offenbart uns die Struktur der Blasen selbst eine sehr fragile Balance zwischen Wasser und Luft und erinnert uns, eher symbolisch, wie fragil und schön die Architektur der Natur ist. Obwohl sie prä-biologisch sind, könnten die Blasen als primordiale Zellen oder Reagenzglaswesen erscheinen. Wenn verschiedene dieser Bilder zu einer Sequenz gruppiert werden, wirken sie wie ein genetischer Code. Während die SOS Skulpturen, obwohl es um reduzierte Form, Bewegung und Interaktivität geht, in der Lage sind, Interpretationen der Beziehungen aus allen Richtungen zwischen der sozialen Ebene und dem Kosmos auszulösen, befassen sich die Lucy & Dolly Arbeiten spezifischer mit jenen Prozessen, die zu biologischem Leben führen. Sie sind auch Symbole für ein unhierarchisches, aber korrumpierbares Netzwerk. Ebenfalls verknüpft damit ist die „Santiago Theorie der Kognition“, die postuliert, dass Kognition an sich eng mit „Autopoiesis“, der Selbstgenerierung von lebenden Netzwerken, verbunden ist. Das bestimmende Charakteristikum eines solchen Systems ist, dass es kontinuierliche strukturelle Veränderungen durchläuft, während es gleichzeitig sein netzartiges Organisationsmuster aufrechterhält. Es sagt auch, dass ein Nervensystem oder ein Gehirn dies nicht notwendigerweise tun muss! Solch ein System lernt über Feedbackschleifen und seinen konstanten Austausch mit und die Anpassung an seine Umwelt. Diese Prinzipien der Selbstorganisation und die Schaffung neuer Strukturen sind auf das biologische Leben anwendbar, aber man kann sie auch auf die Wahrnehmung anwenden: die Emotionen, das soziale Verhalten, das Wetter und das gesamte Ökosystems als solches.

C.C.: Schlagen Sie vor, dass die Gesellschaft allgemein schließlich dazu finden wird, die begrenzte Fragilität der Erde als ein eigenes, geschlossenes metabolisches System zu respektieren?

D.F.: Zum jetzigen Moment hat die politische Problemlösung sicherlich nicht viel zur Aufklärung auf diesem Gebiet beigetragen. Wissen Sie, es gibt ein sehr altes Sprichwort aus der Hygiene, dass besagt, man solle nicht dort scheißen, wo man isst. Wir müssen jetzt lernen, dass das völlig falsch ist – es gibt kein anderswo! Aber bevor das in der industrialisierten Welt zum Allgemeingut wird, muss es erst noch eine schwere Krise geben, damit Veränderung stattfinden kann – als ob wir nicht schon genug hätten.

C.C.: Lassen Sie uns hoffen, dass es nicht zu schnell überkocht.

D.F.: Ja, wir müssten einfach in der Lage sein, jene Art von Konfrontationen zu vermeiden, die aus Uninformiertheit und Mangel an Respekt vor der allgemeinen Kondition der Menschheit in Zeiten der Verkürzung und qualitativ sich verändernden Kommunikationsmedien wie Email, und den Webforen, die Sie vorhin erwähnt haben , entsteht. Selbst wenn der Mythos von Fortschritt und Wissenschaft nicht mehr länger der Philosophie und der Weisheit in unserer Gesellschaft dient, besitzen wir noch immer Menschen und Kommunikationsmöglichkeiten, die dabei helfen, Informationen und Erfahrungen auf eine weniger korrupte Art zu teilen.

C.C.: Ihre SOS Objekte laden auch dazu ein, mit ihnen zu „kommunizieren“. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, Klang als Stimulus zu untersuchen?

D.F.: Klang und Kommunikation spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung vieler Spezies und ihrer sozialen Sphären. Die Abkürzung SOS selbst steht für mehr als Kommunikation im Ernstfall. Sie bedeutet, dass man zu einem ungeschriebenen sozialen Vertrag gehört, ganz einfach, weil man ein Mensch ist. Um das mit einfließen zu lassen, dachte ich, dass der Stimulus etwas sein sollte, von dem wir alle abhängig sind, das sich aber auch auf ganz unterschiedliche Weise interpretieren lässt. So wie Sie und ich ganz unterschiedlich zu der gleichen Musik tanzen würden, geschieht es auch bei den SOS Kugeln. Ich statte jede Kugel mit einem anderen individuellen Charakter aus. Sie beeinflussen gegenseitig ihren Weg durch ihre individuellen Handlungen und erzeugen sogar Feedback durch die Produktion ihres eigenen Klicksounds und so weiter. Die Klangsensoren gestatten dem SOS zum Stillleben zu werden, wenn alles ruhig ist, und zum beweglichen Objekt zu werden, wenn ein Dialog entsteht. Natürlich kann es auch durch andere Geräusche, die entstehen, wenn Menschen aktiv werden, stimuliert werden. Das SOS kann „getunt“ werden, so dass es nur die allerlautesten Geräusche hört oder aber sogar Geflüster versteht. Ein anderer Aspekt ist der Gebrauch von Klang als ein Stimulus, der das Kunstwerk sich über seine eigenen Grenzen hinaus ausdehnen lässt, indem es sich selbst in einen Dialog mit seiner Umgebung begibt.

Christopher Chambers ist Künstler, Kritiker und Kurator und lebt in New York City.

(Übersetzt aus dem Englischen.)



 

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