Alex McQuilkin - Von Himmel und Hölle und dem ganz normalen Wahnsinn

Ein Teddybär liegt unbeachtet und unter einem Berg Wäsche vergraben auf dem Boden eines geschlossenen Schranks. Vor ihm, verlegen auf den Fingernägeln kauend und unsicher von einem Bein aufs andere tänzelnd stehen sich zwei Mädchen im Teenager-Alter in dem gleichen, geschlossenen Schrank gegenüber. Die Party außerhalb dringt nur als gedämpftes Stimmengewirr zu ihrem ungewöhnlichen Aufenthaltsort vor, in dem die beiden ihr zögerliches Interesse am jeweiligen Gegenüber möglichst zu verbergen suchen.

Sieben Minuten stehen sie sich gegenüber, sieben Minuten, die laut der Spielregeln eigentlich sieben Minuten im Himmel sein sollen. „Eigentlich ist es ein wirklich scheußliches Spiel“, erklärt Alex McQuilkin die beliebte Partyunterhaltung, bei der zwei Teenager in einen engen Raum gesteckt und dem Lauf der Dinge überlassen werden. Die Intimität, die sich in dieser erzwungenen Situation einstellen soll, bleibt in Alex McQuilkins Video „Seven minutes in heaven“ (2004) jedoch aus und gibt stattdessen den Blick frei auf den Zwiespalt der beiden Jugendlichen, die unter dem Druck der Erwartung eines wilden Austauschs von Körperflüssigkeiten zu entsprechen in unentschlossenes Nichtstun versinken.

Die Konflikte und Wunschträume im Alltagsleben heranwachsender Mädchen sind das große Thema, um das sich die Arbeiten der jungen Videokünstlerin Alex McQuilkin (*1980, Boston, USA) gruppieren. Durch ihre Protagonisten erzählt sie intime Geschichten von der Suche nach der eigenen Identität und dem Wunsch, etwas Besonderes zu sein – Geschichten, die in ihrer Intimität unmittelbare Identifikationspunkte für den Betrachter bieten, ihn aber auch leicht peinlich berührt vor dem Monitor zurücklassen:

Im Teenage Daydream: It’s only Rock’n’Roll (2002) wird der Betrachter Zeuge eines vor verzerrten Vorstellungen von Sex und Gewalt strotzenden Tagtraumes, in dem sich ein junges Mädchen in pinkfarbener Perücke wild und vermeintlich erotisch in eine Art Trance tanzt, ihre Pistole in der Hand und blutige Bandagen um die Handgelenke, während die Blut besudelten Beine einer zweiten Person in einem unnatürlichen Winkel unter dem Bett herausragen. Irgendwo zwischen den Postern von Sailormoon und Kurt Cobain auf der himmelblauen Wand ihres Zimmers geht es um eine eigenartige Version des romantischen Traums auszubrechen, als Ausgestoßene in die tragisch-entschlossene Hauptrolle eines Tarantino-würdigen Racheakts zu schlüpfen, die Kontrolle zu übernehmen.

Dieser sehr persönliche und mit all dem Blut und den Fingern im Mund zwischen eklig und lächerlich schwebende Tagtraum erweckt ein leises Gefühl von Unschicklichkeit, als beobachte man durch ein Schlüsselloch eine Szene, die man nicht hätte sehen sollen - und auch gar nicht wirklich sehen wollte. Der voyeuristische Beigeschmack wird noch unterstützt von der bewusst nie ganz perfekten technischen Umsetzung der Videos, die den Eindruck privater Filmaufnahmen noch verstärken – insbesondere bei ihrem Debutwerk „Fucked“ (1999), das im Stil eines harmlosen Privatpornos vollkommen unsexy eine junge Frau zeigt, sich ungeachtet der rhythmischen Stöße und ohne die leiseste Mine zu verziehen während des Sex schminkt.

Ähnlich ist der Effekt auch im zweiten Teenage Daydream: In Vain (2003), in dem die Kamera auf dem Schminktisch zu stehen scheint, vor dem sich ein Mädchen mit billigen Modeschmuckarmbändern über den blutigen Bandagen um ihre Handgelenke gelangweilt schminkt, raucht und vor sich hinträumt.

Beide Daydreams können gelesen werden als ein spitzfindiger Kommentar auf die Tendenz Jugendlicher zu einer Hollywoodgläubigkeit, die die eigene Phantasie ersetzt und einen nicht enden wollenden Fundus fertig präparierter Wunschidentitäten bequem auf Knopfdruck ins eigene rosa Jugendzimmer liefert, um sich dann in einem heillosen Mix zu eben dem strahlend tragischen Idealbild zu verbinden, der so viele Mütter und Väter fassungslos vor ihren ehemals so süßen Zöglingen stehen lässt – ein bisschen Girlie Pop, ein bisschen Grunge, eine kräftige Prise Lolita, ein Stück Edelpunk, kurz: alles was in den Klischeeschubladen unter „rebellisch“ und „schockierend“ abgelegt ist.

Besonders in „Get your Gun up“ (2002) spielt Alex McQuilkin mit den filmischen Möglichkeiten von Drama und Spannung und eröffnet eine interessante Perspektive, wenn sie einen wortlosen Zweikampf aus Hüftschwüngen, zusammengekniffenen Augen und roten Lippen mit Ennio Morricones Titelmelodie von Sergio Leones Westernklassiker „The Good, the Bad and the Ugly“ unterlegt und so den intriganten Krieg mit den Waffen einer Frau in Bezug zu dem ikonischen Duell des Films setzt, in dem alle Figuren schon zu Beginn wissen, dass sie am Ende der Tod erwartet.

Der Tod und insbesondere das Melodrama des versuchten Selbstmords, der als letzte Bastion der Rebellion seit jeher eine faszinierende Anziehungskraft ausübt, kehren in Alex McQuilkins Arbeiten immer wieder. In zurückgenommener Ästhetik zeigt das Video „Test Run“ (2005) ihr langsam ins klare Wasser zurücksinkendes Gesicht, einen apathischen Blick in den Augen, bis das Video nach einer gefühlten Ewigkeit mit dem Klang spritzenden Wassers endet. In „The Ranch“ (2005), der ersten Arbeit in der Alex McQuilkin Sprache statt Musik verwendet, geht sie das Thema mit einer anderen Dualität von Ästhetik und Zerstörung an und spielt die Bilder eines sich gelangweilt aber erotisch auf den Laken räkelnden Mädchens gegen deren Stimme aus, die von ihrem Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt und ihrem halbherzigen Selbstmordversuch erzählt.

Alex McQuilkin überlässt es den Psychologen, nach Gründen für das Verhalten ihrer Protagonisten zu suchen, sie liefert keine Erklärungen, sondern bietet Erfahrungen an, Einblicke: Sie lässt den Betrachter tief in eine überdrehte, knalligbunte und pubertäre Ideenwelt eindringen, die gleichzeitig fasziniert und abstößt, vielleicht gerade deshalb, weil sie insgeheim genau den heimlichen Phantasien entspricht, an die man sich aus den eigenen Jugendtagen noch halb beschämt erinnert.
 
 

  © Katharina Klara Jung, 2006