Léopold Rabus

Ein Mädchen in rosafarbenem Kleidchen, schwarzen Lackschuhen und weißen Kniestrümpfen - der Inbegriff der Unschuld, doch ihr Gesicht ist das einer Erwachsenen. Ihre Haut ist von der bläulichen Blässe einer Emailleschicht auf einer Porzellanpuppe, ebenso die des Jungen, der vor ihr auf dem Tisch sitzt, in Kinderwäsche, zusammengekrümmt und sich wehrend gegen die Berührung des Frau-Kindes, dessen Hand sich an seiner Unterhose zu schaffen macht. Am Tisch ist ein zweiter Junge in sich zusammen gesackt, ausgemergelt, die Finger zu Klauen verkrümmt, die sich in die Tischplatte krallen ohne Halt zu finden. Die Figur darunter, halb Frau halb Skelett, das Gesicht verborgen hinter einem Designerstuhl, scheint fort kriechen oder nach etwas greifen zu wollen, bleibt aber wie gefesselt in ihrem halb toten, halb lebendigen Körper.

















o.T., 2005, 190 x 230 cm
Mischtechnik auf Leinwand

Die Bildwelten des jungen Schweizer Künstlers Léopold Rabus (*1977, Neuenburg / Schweiz) entziehen sich einer eindeutigen Definition. Er spielt mit Klischees, mit Symbolen und bekannten Motiven, wandelt sie ab oder besetzt sie mit neuer Bedeutung. Seine thematischen Serien beschäftigen sich mit Aspekten von Gut und Böse, von Religion und Sexualität, Leben und Tod, Themen, die durch die schrille Farbgebung, die ungewöhnlichen Materialien und die außerordentliche Luminanz der Gemälde persifliert werden. Die 2003/04 entstandene Serie „Ex-Voto“, deren Titel bereits auf die bis ins spätmittelalterliche Italien zurückreichende Tradition der Votivbilder verweist, verdeutlicht diese Persiflage besonders. Ein Votivbild war - und ist noch - ein auf Grund eines Gelöbnisses angefertigtes Bitt- oder Dankopfer für einen Heiligen, das an einer Kultstätte niedergelegt wurde und so das Gelöbnis öffentlich machte. Der Inhalt der Votive war im Wesentlichen eine direkte oder attributive Darstellung des angerufenen Heiligen, eine Abbildung des Votanten, der Votationsgrund und die Inschrift „ex voto“.

Rabus greift diese Tradition auf und führt sie ad absurdum. Hinter dem süßen Anstrich der schillernden Farben entfaltet sich bei genauerem Hinsehen die spitzfindige Gemeinheit der Protagonisten: Um das auf dem Küchentisch liegende Mädchen etwa, dem wie einem gierigen Hund in einem Zeichentrickfilm ein Knochen quer im Hals steckt, unterhalten sich zwei adrett gekleidete Menschen darüber, ob sie das Mädchen nicht mit einem Brotmesser von ihren Qualen erlösen sollten. Eine kleine Ikone der Maria Eleusa, der mitleidigen Muttergottes, mit dem gekrönten Christuskind auf dem Arm führt in das Bildthema ein, das die Idee des Mitleids aber wie mit einem Schulterzucken zur existentialistisch-lethargischen Perversion seiner selbst stilisiert. Vor Rabus Votivbildern steht der Betrachter mit einer Mischung aus Faszination und Ekel. Durch die Verwendung von dunklem Echthaar erlangt die Bildoberfläche eine haptische Qualität, die in krassem Gegensatz zum glitzernden Bunt von Nagellack steht und die gemeinsam mit den leeren Augen und den riesigen Köpfen, die an Kinderzeichnungen denken lassen, sehr zwiespältige Gefühle wachruft.


















o.T. (Ex-Voto), 2004
Mischtechnik auf Leinwand

Die betonte Unschuld und Naivität, das Unbewusstsein über die landläufigen Vorstellungen von Gut und Böse, das den Figuren Léopold Rabus’ innewohnt, hat einen ähnlich schauerlichen Effekt wie das Motiv der Zwillingsschwestern aus Stephen Kings „Shining“ – unmittelbar, verstörend und gleichsam nicht von dieser Welt.

Eine ähnlich eigenwillige Ikonographie entfaltet Rabus auch in der Serie „Scène Sainte“, die 2004 entstand. „Ich versuche, genau den Moment festzuhalten, in dem der Geist – freiwillig oder nicht – den Körper verlässt“, schreibt Rabus über diese Arbeiten. Immer wiederkehrende Motive wie das der nicht zuletzt durch Disney’s Adaption von Saltens quirligem „Bambi“ als idyllisch und sündlos charakterisierten Rehkitze oder die der barocken Ikonographie entlehnten Blumensymbole, die den Figuren aus Mund und Nase wachsen, beschwören in ihren unterschiedlich besetzten Zusammenhängen eine neuartige Semiotik, die sich wie ein Schleier über die gewohnten Assoziationen legt. Surren in einem Bild geflügelte Rehe wie Kolibris um verschlungene Anemonen herum, werden sie im nächsten erwürgt und gefressen oder trinken von den geweihten Tränen der Hinterbliebenen. Die märchenhafte Welt aus Kindertagen wird gebrochen, die Idylle zerstört durch die sich voneinander abwendenden Gestalten, deren aufreizende Posen den Betrachter als Voyeur, als Mitschuldigen ins Bildgeschehen integrieren.


o.T. (Scène Sainte), 2004
Mischtechnik auf Leinwand

Auch hier täuscht die fröhliche Farbigkeit in den liebevoll bemusterten Kleidern der Figuren über den philosophisch-religiösen Inhalt der Bilder hinweg und witzelt so über die eigene Botschaft: „Der Mensch lebt auf Knien, verflucht oder dankt Gott, einem Baum oder einer Flasche, bevor er sich letztendlich niederlegt: eine furchtsame Art sich an das zu wenden, was er nicht versteht.“

Die feine Ironie, mit der Léopold Rabus die übertriebene Andächtigkeit mit zartem Spott bedenkt, findet ihren Höhepunkt in seinem Video „L’Eau du Guide“ („das Wasser des Predigers“), in dem ein in ein dunkelbraunes Sommerkleid gehüllter Wanderer eine Herde von Hühnern um sich schart, denen er die Schönheit der Natur erklärt, um ihnen die Erleuchtung ihrer Seelen zu bringen. Die Inspiration zu diesem Video fand der junge Künstler in dem Buch “Récits d’un voyageur de l’astral” („Geschichten eines Astralreisenden“) von Daniel Meurois, das die Geschichte eines Meditierenden erzählt, der in eine Parallelwelt reist und dort in einer kitschigen Umgebung einen geistigen Führer mit blauem Kopf antrifft.

 


    Maison Pain
Installation 2004

„Das kleine Buch hat mich zum Lachen gebracht und mich bewegt. Dieser vage Zynismus hat diesen Kurzfilm angeregt“, erklärt Rabus. Diesen „vagen Zynismus“ treibt er noch weiter und baut dem Prediger einen Schrein: In einem Lebkuchenhäuschen, das mit Zuckerguss und Marzipanschweinchen verziert ist, versammelt er die (ausgestopften) Hühner um ein mit Leuchtketten behängtes Andachtsbild, das von stark an Postkarten erinnernden Landschaftsaufnahmen gesäumt ist (Maison Pain, 2004).




















 

o.T. (Champignons), 2005
Mischtechnik auf Leinwand

In seinen neuesten Arbeiten, den Serien „Les Oiseaux“ („Die Vögel“, 2005) und „Champignons“ („Pilze“, 2005) ist die Fülle der Informationen gegenüber seinen früheren Arbeiten zurückgenommen und das Bildgeschehen in reduzierten Konstellationen klar aber nicht minder komplex dargestellt. Die ausgewogenen Kompositionen verführen den Betrachter in eine Welt sich insektenhaft auf der Leinwand windenden Figuren, die in ihrer spärlichen Bekleidung zerbrechlich und bedrohlich zugleich wirken.

Die unverkennbare Handschrift des jungen Künstlers, seine Art, das Ästhetische mit dem Abgründigen, das Diesseitige mit dem Jenseits zu verbinden und so zwielichtige Welten voller Phantasie und vielschichtiger Bedeutung auf Leinwand zu bannen, die Kraft und Eindringlichkeit seiner Bilder verleihen seinen Arbeiten eine Ausstrahlung, deren Wirkung man sich kaum zu entziehen vermag. Léopold Rabus erfindet die Malerei nicht neu, er schöpft mit beiden Händen aus ihrer glorreichen Vergangenheit und lässt so den Betrachter am eigenen Leib erfahren, warum die Malerei niemals sterben wird.

 

© Katharina Klara Jung, 2005

 


 
© 2009 All rights reserved: Galerie Adler Frankfurt - New York
Hanauer Landstraße 134, 60314 Frankfurt, Germany, +49 (0)69-43053962
mail@galerieadler.com, www.galerieadler.com